Wegen Haftbefehl – Völkerrechtler: Deutschland müsste Netanjahu bei Besuch festnehmen

Der Völkerrechtler Claus Kreß hofft, dass Friedrich Merz seine Einladung an Israels Premier überdenkt. Da gegen Netanjahu ein internationaler Haftbefehl vorliegt, müsste Deutschland ihn festnehmen – andernfalls würde das Völkerrecht infrage gestellt.

DLF, Heinemann, Christoph | 28. Februar 2025, 06:50 Uhr

Der voraussichtlich künftige Bundeskanzler Friedrich Merz hat Benjamin Netanjahu eine sichere Reise nach Deutschland garantiert.
Ich halte es für eine abwegige Vorstellung, dass ein israelischer Ministerpräsident Deutschland nicht besuchen kann.
Er wird Deutschland besuchen können, sagte Merz am Montag nach der Bundestagswahl.
Merz hatte nach eigenen Angaben noch am Sonntagabend mit Netanjahu telefoniert.
Das Problem dabei, der internationale Strafgerichtshof in Den Haag hatte im November Haftbefehle gegen Netanjahu und den früheren Verteidigungsminister Joachim Galant erlassen.
Begründung, es gebe hinreichende Gründe für die Annahme, dass sich beide während des Krieges im Gazastreifen der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen mitschuldig gemacht hätten.
Nicht alle Staaten erkennen diesen internationalen Strafgerichtshof in Den Haag an, die USA, China, Israel oder Russland zum Beispiel nicht.
Deutschland hingegen gehört zu den 125 Vertragsstaaten des sogenannten Rom-Statuts.
Professor Klaus Kress lehrt Straf- und Völkerrecht an der Universität zu Köln.
Er ist außerdem Sonderberater des Anklägers des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, jetzt Gast hier bei uns im Studio.
Guten Morgen.
Guten Morgen.
Professor Kress, was genau legt der internationale Strafgerichtshof Netanjahu und Galant zur Last?
Es geht, wie Sie es gerade in der Anmoderation bereits gesagt haben, um den Verdacht von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Gazakrieg.
Und im Zentrum steht der Vorwurf des Aushungerns der palästinensischen Zivilbevölkerung durch das Vorenthalten humanitärer Hilfslieferungen.
Ich möchte Friedrich Merz nochmal zitieren.
Er hat gesagt, für den Fall, dass er, also Netanjahu, einen Deutschlandbesuch plant, habe ich, also Merz, ihm zugesagt, dass wir Mittel und Wege finden, dass er Deutschland besuchen kann und auch wieder verlassen kann, ohne dass er in Deutschland festgenommen wird, hat Friedrich Merz so gesagt.
Welche Mittel, welche Wege könnten das sein, wenn Deutschland gleichzeitig seine vertraglichen Verpflichtungen erfüllen will?
Ich sehe solche Mittel bzw. solche Wege nicht, Herr Heinemann.
Spätestens dann, wenn sich ein Besuch des israelischen Premierministers konkret anbahnte, würde der internationale Strafgerichtshof ein Festnahme- und Überstellungsersuchen an Deutschland richten.
Und das würde bedeuten, Deutschland ist völkerrechtlich in der Pflicht, die Festnahme und die Überstellung zu vollziehen.
Und die deutsche Rechtslage steht hiermit voll im Einklang.
Nach ihr sind die dann zuständigen deutschen Stellen gehalten, den mit Haftbefehl Gesuchten festzunehmen.
Wer entscheidet in Deutschland darüber, ob ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs vollstreckt wird?
Es geht ja zunächst mal um die Festnahme.
Über die Festnahme entscheidet die deutsche Justiz.
Das ist das jeweils zuständige Oberlandesgericht, vorbereitet durch die zuständige Generalstaatsanwaltschaft.
Und dann wird über die Überstellung entschieden.
Das vollzieht sich in zwei Schritten.
Zunächst entscheidet das zuständige Oberlandesgericht über die sogenannte Zulässigkeit.
Und abschließend entscheidet die Bundesregierung, sie bewilligt die Überstellung und hierfür zuständig ist das Bundesministerium der Justiz.
Was nun wichtig ist, die deutsche Justiz hat nicht die Aufgabe, ja sie ist gar nicht befugt, den internationalen Haftbefehl sachlich noch einmal zu überprüfen.
Sondern es geht nur um die Feststellung, ob die nach dem ISDGH-Statut maßgeblichen Formalitäten gewagt sind.
Und wenn das der Fall ist, besteht kein Ermessen der zuständigen deutschen Stellen, sondern es ist der völkerrechtlichen Pflicht zu entsprechen.
Aber trotzdem, es gab ja, haben Sie mitbekommen, wer, wenn nicht Sie, rechtliche Kritik am Haftbefehl gegen Netanjahu.
Könnte sich Deutschland auf diese Kritik berufen, um die Vollstreckung des Haftbefehls zu verweigern?
Es gab tatsächlich Kritik und es geht im Wesentlichen um zwei Punkte.
Der internationale Strafgerichtshof hat zur Begründung seiner Zuständigkeit angenommen, Palästina sei für die Zwecke des ISDGH-Statuts ein Staat.
ISDGH ist der internationale Strafgerichtshof?
Ganz genau, es ist der internationale Strafgerichtshof.
Und zweitens steht dieser Strafgerichtshof auf dem Standpunkt, dass sogenannte persönliche Immunität, die vor nationalen Strafgerichtshofen gelten würde, im internationalen Strafverfahren nicht gilt.
Beide Fragen sind umstritten. Es gibt beachtliche Gründe, die Dinge anders zu sehen, als der internationale Strafgerichtshof es getan hat.
Aber die Entscheidung des internationalen Strafgerichtshofs ist in beiden Fällen ebenfalls gut vertretbar.
Und in einer solchen Situation ist es nicht möglich, dass sich dann die einzelnen Staaten einseitig, weil sie einer anderen Auffassung zuneigen, abkoppeln.
Dann könnte ein solches System kollektiver internationaler Gerichtsbarkeit nicht funktionieren.
Aus der Perspektive des deutschen Rechts könnte man fragen, ob die Lage in einem Extremfall, in dem ein internationaler Gerichtshof offenkundig den Boden des Rechts verlässt,
ob in einem solchen Extremfall anders zu handeln ist. Aber von einem solchen Extremfall kann hier nicht die Rede sein.
Was bedeutete es denn dann, wenn Deutschland den Haftbefehl während eines möglichen Besuchs von Netanjahu nicht vollstrecken würde?
Das würde bedeuten, dass Deutschland die Autorität des internationalen Strafgerichtshofs offen infrage stellt und damit an einem wichtigen Punkt auch die Autorität des Völkerrechts.
Und es würde damit gleichbedeutend signalisieren, dass Deutschlands Autorität als völkerrechtstreuer Staat untergraben würde.
Und das würde auf Deutschland zurückfallen, wenn Deutschland in anderen Situationen gegenüber anderen darauf pocht, dass das Völkerrecht beachtet wird.
Zum Beispiel zugunsten der Ukraine. Also wenn das so käme, dann würfe das einen völkerrechtspolitisch dunklen Schatten über den Beginn der neuen Bundesregierung.
Nun gibt es ja Vorbilder. 2024 hat der mutmaßliche Kriegsverbrecher Putin die Mongolei besucht und wieder verlassen können.
Die Mongolei erkennt den internationalen Strafgerichtshof an. Welches Signal ging von diesem Besuch ohne Festnahme aus?
Das war natürlich auch eine Schwächung der Autorität des internationalen Strafgerichtshofs.
Man konnte in etwa erahnen, in welcher schwierigen Situation sich die Mongolei befand.
Inzwischen ist die Mongolei wegen dieses Vorgehens in einem Verfahren vor dem internationalen Strafgerichtshof, ich würde nicht sagen verurteilt worden,
aber es ist festgestellt worden, dass die Mongolei in diesem Fall Völkerrecht verletzt hat.
Und ich denke, das möchte man im Falle Deutschlands vermeiden.
Wieso geht der internationale Strafgerichtshof nicht davon aus, dass Netanyahu in Israel, also in seinem Land, für mutmaßliche Verbrechen vor Gericht gestellt werden könnte?
Ein Verfahren in Israel hätte gegenüber dem internationalen Verfahren Vorrang.
Nun ist es aber so, dass in Israel gegenwärtig kein Verfahren gegen den israelischen Premierminister geführt wird.
Es wäre möglich, ein solches Verfahren einzuleiten, möglich nach israelischem Recht.
Und Israel hat mehrfach erklärt, dass es Wert darauf legt, dass seine eigene rechtsstaatliche Justiz fähig ist, solche Verfahren zu führen.
Man sollte Israel an dieser Stelle beim Wort nehmen und bekräftigen in diesem Anliegen.
Wenn Israel, und das könnte auch jetzt noch geschehen, ein glaubwürdiges eigenes Verfahren einleitete, dann könnte auch der internationale Haftbefehl aufgehoben werden. Immer noch.
Ist es vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte überhaupt vorstellbar, dass ein israelischer Spitzenpolitiker in Deutschland verhaftet wird?
Natürlich tut man sich bei diesem Gedanken sehr schwer.
Aber umso schwieriger ist es für mich zu verstehen, warum Friedrich Merz einen Besuch des israelischen Ministerpräsidenten überhaupt in Aussicht stellt und damit in dieses Dilemma hineinführt.
Das ist ja im Grunde genommen ein In-Aussicht-stellen ohne jede Not.
Es gäbe andere Möglichkeiten, sich mit Israels Premierminister auszutauschen.
Und ich möchte Ihnen eine Gegenfrage stellen.
Herr Heinemann, der internationale Strafgerichtshof, das erste ständige Weltgericht zur Verfolgung von Kriegsverbrechen,
Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und Aggression, ist 1998 gegründet worden, gilt als ganz große Errungenschaft auf der internationalen Ebene.
Und Deutschland gehörte zu den Staaten, die zuvorderst an der Einrichtung dieses internationalen Strafgerichtshofs mitgewirkt haben.
Und das hat Deutschland erklärtermaßen eben gerade auch aus historischer Verantwortung heraus gemacht.
Und möchte man sich tatsächlich vor diesem Hintergrund vorstellen, dass Deutschland jetzt die Autorität dieses internationalen Strafgerichtshofs offen infrage stellt?
Ich möchte mir das nicht vorstellen und deshalb habe ich eine große Hoffnung.
Und diese Hoffnung lautet, dass Friedrich Merz noch einmal in sich geht, sich beraten lässt und sich dann korrigiert.
Damit würde er Größe zeigen und auf den Pfad der Rechtstreue zurückkehren.
Der Völkerrechtler Prof. Klaus Kress von der Universität Köln.
Dankeschön für das Gespräch und für Ihren Besuch im Studio und auf Wiederhören.
Vielen Dank, Herr Heinemann.

(Quelle: DLF https://www.deutschlandfunk.de/merz-einladung-an-israels-premier-netanjahu-voelkerrechtlich-ueberhaupt-vermitte-100.html)

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